hufheels
Hufheels von Iris Schieferstein



Hier mein Fernschreiber-Essay, der am 7. Februar im Zündfunk auf Bayern 2 lief:

Die Steinzeit, Darwin und das Ehrenkreuz der deutschen Mutter – das ist die Hintergrundmusik, die den Refrain im deutschen Familienlied begleitet. Dass die Rollenverteilung biologisch begründet und seit der Steinzeit evolutionär erfolgreich überdauert, ist falsch; dass unser Mutterbild hingegen immer noch Resonanzen zur Nazi-Mutter hat, ist schlimm und keineswegs ein alter Zopf. Ministerin Schröder reflektiert ihre ideologische Formatierung genauso wenig wie all jene, die zwar mehr Kinder für Deutschland wollen, aber weiter auf die deutsche Mutter im Haus und den deutschen Vater in der Arbeit setzen.

Nur ein Viertel der Kinder sind in der Frühbetreuung, der Rest robbt meist ohne Geschwister über den Teppich der mütterlichen Stube. Ein Teppich voller ideologischer Flausen übrigens, über den sich Frauen, die in der DDR aufgewachsen sind, meist nur wundern können, aber bleiben wir bei der Sache: Kitaplätze fehlen, und bevor Frau Schröder diesen Mangel nicht behoben hat, kann der alte Zopf nicht ab, solange verfilzt der Teppich weiter. Doch für Herrn Schröder war Familienpolitik Gedöns, Frau Schröder ist die Personifizierung dieses Gedöns, und das Problem liegt tiefer.

Sei es in der Sexismus-Frage, der Familienpolitik oder der Lohngerechtigkeit – wir brauchen zuerst ein Geschlechterverständnis, das nicht mehr auf biologistischen Annahmen beruht. Kein Stier/Ochsen/Kuh-Gefasel mehr!

Gegen solche Naturalisierungen helfen Historisierungen. Sie zeigen, dass Irrwege nicht naturgebunden und unveränderlich, sondern kulturbedingt und veränderbar sind. Wir müssen also den Wirklichkeitsraum erfassen (und der sieht heute so aus: Kleinfamilie und Ehe sind nur zwei mögliche Modelle von vielen und keine Leitbilder mehr); dann müssen wir den Möglichkeitsraum (Wie wollen wir leben?) durch historische Dekonstruktion des heutigen Zustands öffnen, und das Ganze popularisieren. (Wie erklär ich‘s den Brüderles und Schwesterles?)

 Öffnen wir also, indem wir das biologische Wesen der Geschlechter durch ihre historische Konstruktion ersetzen: Die Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun hat den Ursprung der Geschlechterdifferenz mit der Entstehung der Schrift verbunden. In den Grundzügen besagt ihre These, dass der Abstraktionsprozess, der durch die Schriftlichkeit in Gang gesetzt worden ist, beide Geschlechter gleichermaßen auf ihre Rollen festgelegt hat: Der Mann mit seiner unsichtbaren Zeugungsfähigkeit wurde mehr und mehr der Schrift, dem Geist und der Wahrheit zugeordnet und aufgewertet, während die Frau mit ihrer sichtbaren Gebärfähigkeit dem Prinzip des Lebens, dem Körper und der Natur verbunden und abgewertet wurde. Daraus resultierte dann das Denken in Gegensätzen und Widersprüchen, das unser Verständnis heute noch prägt.

Die These ist sogar noch komplizierter, als sie hier klingt, aber es geht mir um etwas Simples: Frauen- und Männerrollen  haben sich historisch-kulturell entwickelt und wurden nachträglich naturalisiert. Es liegt also an beiden Geschlechtern die Festschreibungen zurückzuweisen und auf die Möglichkeit einer gesellschaftlichen Ordnung zu setzen, die auf Differenzen statt Gegensätzen beruht, und in denen Männer und Frauen gleichermaßen und in allen möglichen Rollen repräsentiert sind. Dass Frauen und Männer, Hetero- und Homosexuelle, Alleinerziehende und Paare, Verheiratete und Unverheiratete gleich gut leben wollen, obwohl sie anders sind, ist kein Widerspruch, sondern normal. Dass die Politik ihnen auch die gleichen Möglichkeiten einräumen sollte, wäre normal, ist es aber nicht. Und wem das jetzt alles zu kompliziert ist, der zieht eben nach Schweden.


Warning: Undefined property: WP_Error::$slug in /is/htdocs/wp12295675_59IE2W0QEE/www/wp-content/themes/annika/template-parts/content-single.php on line 25