Es war einmal Internationaler Literaturpreis
Der Internationale Literaturpreis im Haus der Kulturen der Welt ging 2021 an Fatima Daas und ihre Übersetzerin Sina de Malafosse für den Roman „Die jüngste Tochter“, erschienen im Claasen Verlag. Warum dieses Buch uns, die Jury, so beeindruckt hat, könnt Ihr in der leicht abgewandelten Laudatio von Dominique Haensell auf 10nach8, Zeit online, lesen.
Die Preisverleihung im HKW war leider nicht auf der Dachterrasse, sondern digital, aber dafür waren die Autorin und die Übersetzerin auf der Bühne umso wunderbarer. Und eine beglückendere Juryarbeit als die mit Dominique Haensell, Elisabeth Ruge, Heike Geißler, Michael Götting, Robin Detje und Verena Lueken kann ich mir nicht vorstellen.
Die Fotos der Preisverleihung sind von Silke Briel / HKW.
Im Jahr 2022 haben wir dann Cristina Morales „Leichte Sprache“ in der Übersetzung von Friederike von Criegern den Internationalen Literaturpreis Berlin verliehen. Und weil ich zeitgleich zur Preisverleihung gerade meinen Roman fertig schreibe und zu nichts anderem komme, gibt’s nur Handyfotos und den dringlichsten Wunsch: Lest dieses Buch! Es sprengt alles rundherum.
Oder was wir als Jury dazu schrieben:
„Leichte Sprache“ ist eine vielstimmige Ich-Erzählung, ein Gerichtsprotokoll, ein Gesprächsprotokoll, ein Roman in Leichter Sprache, ein Fanzine. Ein poröses Ensemble aus Formen und Figuren. Dieser Roman ist kein Inklusionsmärchen, er ist ein Forderungskatalog. Er besteht auf der Benennung von Unterschieden, auf Klarheit, er besteht auf der Notwendigkeit zu hassen, auf Lebendigkeit, Überraschung und Revolte. „Leichte Sprache“ ist eine Liebeserklärung an die Politisierung, aber auch an den Tanz und an das Begehren. Er erzwingt eine Neujustierung von Begrifflichkeiten und Zuschreibungen. Unsere Entscheidung, den Preis diesem Buch zu geben, ist eine Liebeserklärung – an das Buch und seine Protagonistinnen, an die Heftigkeit, mit der sie auf Restriktionen, Demütigungen und Entmündigung reagieren.
„Leichte Sprache“ ist ein Buch aus vielen Stimmen, deren Ton oft rasch umschlägt. Rollenprosa von Figuren, über die wir wissen, dass Sprachgewalt und Eleganz nicht ihr Ziel sind, vielleicht auch nicht ihre Fähigkeit – deren Umgang mit Sprache also von vornherein brüchig ist. Man kann sich für eine Übersetzerin kaum eine größere Herausforderung vorstellen. Es ist preiswürdig, mit welcher Diszipliniertheit Friederike von Criegern sich dieser Aufgabe gestellt hat. Cristina Morales’ Buch ist ein Befreiungsschlag, weil es die Stärke vorführt, die unsere Fragilität hervorbringen kann, die Zähigkeit, die in unserer erfahrenen, erlebten oder auch antizipierten Versehrbarkeit gründet. Es führt uns einen auf befreiende Weise veränderten Blick auf die Welt vor, eine erst durch die Anerkennung eigener Versehrbarkeit zur Möglichkeit gewordenen Radikalität.