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Die Klasse Grosse, die mir so sehr am Herzen liegt, weil wir seit Jahren so gut zusammen arbeiten, dass es kaum zu glauben ist, zeigt gerade eine Ausstellung im KIT (Kunst im Tunnel) in Düsseldorf. Sie ist jetzt bis zum 22. 2. verlängert, und ich kann nur sagen: Go!

Für das Künstlerbuch, das zur Ausstellung erschienen ist, habe ich einen Text geschrieben:

Quecksilber

Text von Annika Reich

that’s all we do/that’s a plenty/plenty of rebound / how breathtaking / a fantasy draft at your fingertips

Mit diesen Worten eröffnet TAU. Ich habe sie noch im Ohr, als meine Füße die steile Treppe des KIT hinuntersteigen. Ich bin also schon mittendrin und kann nicht mehr denken: bevor es überhaupt losgeht; die hör-, aber unsichtbaren Bilder haben den Beginn der Ausstellung am Fuße der Treppe eingeholt. Die erste Grenze ist keine gewesen. Das hölzerne Paar Unsichtbarkeit/Sichtbarkeit ist schon im Vorspiel aus seiner Contra-Starre geschüttelt.

Noch bevor meine Füße die letzte Stufe verlassen haben, hat sich mein Blick schon von mir weg beschleunigt – in die Streuung der Styroporkügelchen hinein: a fantasy draft / at your fingertips. Decke und Boden nähern sich hier, im Kopfteil des KIT, immer weiter an, bedrängen den Körper und nehmen den Blick gefangen. Ob es an der Kombination aus Bedrängung und Streu- ung liegt, weiß ich nicht, aber mein Blick liegt nun in diesem Gemenge versprengt und sieht sich dort in den Einzelheiten materialisiert. that’s a plenty. Ich sehe also die Bildlichkeit meines Blicks im Bild verkörpert und es dauert, bis ich meinen 1000-fach verstreuten Blick dort wieder einsammeln kann.

Dem Tempo, mit dem sich mein Blick den Anziehungskräften hingegeben hat, kann mein Körper nicht folgen. Die Schwerkraft … Weil der Körper träge ist, ist zwischen ihm und dem Blick ein Riss entstanden. Wenn die Bildlichkeit so körperlich geformt ist, dann ist sie immer beides: Ermächtigung und Verschwendung des Körpers; dann entsteht sie immer durch das Reißen – das Reißen des Sinns, der Einheit, der Welt.

Meinen fingertips ist das egal und zu theoretisch, sie wollen dorthin, wo mein Blick längst ist – ins Konkrete, ins materialisierte Imaginäre, in die Farbe. Die Farben leuchten unmittelbar ein, folgen keiner bestimmten Sinnordnung, sondern stehen für die Irreduzibilität der Erfahrung. Ich knie mich hin und (be)greife rein.

Als ich mich wieder aufrichte, steht dort, wo mein Körper als Einheit stehen könnte, eine Gipssäule, deren Schichten im Material verschlüsselt sind. Die Säule tut so, als ob sie die Decke stützt. Material, Form und Größe suggerieren körperliche Stabilität, aber die Säule stabilisiert meinen Körper nicht, sondern spiegelt ihn in seiner Fragmentierung und seinem Wechselspiel aus Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit wider: Bin ich im Körper oder im Bild? Bin ich ein Körper oder ein Bild? Bin ich beides gleichzeitig? plenty of rebound.

Auf der linken Seite sehe ich eine Wandarbeit aus Pixeln, die sich über die gesamte eine Wand des Ausstellungsraums erstreckt und ihn über seine Grenzen hin- aus öffnet. Die Pixel wachsen aus der Tiefe des Raumes und schwellen so dynamisch an, dass ich einmal mit ihnen über das Ende hinaus gerast sein werde. Die Pixelwand überschreibt so nicht nur die Architektur des KIT, sondern treibt sie aus, eröffnet damit den Raum von TAU ein weiteres Mal und summt den anderen Arbeiten in ihrem tiefen Basston die Frage nach dem Maßstab vor.

Auch deswegen kann man die Pixelwand nur im Futur II denken. Denn ich weiß schon hier ganz vorne, dass ich sie erst dort ganz hinten gesehen haben werde. Und dieses „ganz hinten“ ist ein Ende, das man nicht ermessen kann, eine Größe, die man nicht überblicken kann, eine Dynamik, die alles mitreißt, was den Raum statisch macht und so allem, was sich in ihm befindet, ei- nen beweglichen Ort ermöglicht. Auch mir.

Ich versuche mich kurz an der Zone festzuhalten, in der Pixel und Kügelchen gleich groß sind, doch die All-over-Dynamik der Pixelwand ist zu stark fürs Innehalten und zeigt mir gelassen, dass die Suche nach Übereinstimmungen oder Ähnlichkeiten nur bremst, sonst nichts. Von hier aus…! Das ist die Losung.

Auf den Pixeln, dort bei Feld und Säule, hängt eine Landschaft auf Leinwand gemalt. Die Leinwand ist nur vermeintlich eine Gegenposition zu den Pixeln, viel- mehr arbeitet sie gegen die Pixel mit den Pixeln. Das ist das Moment der geteilten Differenz, der/die/das TAU. Der Raum, der diese Malerei eröffnet, ist das Irgendwo. Diese Bilder können überall sein, wenn nur der Raum eröffnet ist, ihr Erscheinungsort ist kontingent, alles andere ist museal.

Das Möglichkeitsspektrum einer Arbeit multipliziert sich durch die Resonanz zu anderen Arbeiten – seien es die eigenen oder die der anderen. Resonanzen zwischen den eigenen und den anderen Bildlichkeiten, zwischen Körperlichkeit und Bildlichkeit, Körper und Raum. Wie bringen sich die einzelnen Arbeiten von

TAU gegenseitig zum Klingen, wie stören, bremsen, beschleunigen sie sich, wie machen sie sich sichtbarer/ unsichtbarer, wie ziehen und eröffnen sie Grenzen, wie verschlüsseln und entschlüsseln sie sich gegenseitig und wie schaffen sie es, den Betrachter zum verkörperlichten Resonanzraum zu machen? Wie bleibt TAU fluide – ohne sich für das eine oder gegen das andere entscheiden zu müssen? Ohne Sinn zu ergeben, ohne sich selbst ähnlich zu sein? Wie bleibt es variabel, ohne die Variabilität als neue Einheit zu proklamieren? Doch erst einmal zurück zur Arbeit. Noch sind wir bei der Landschaft auf Leinwand auf Pixel. Genau wie die Pixelwand wird man auch diese Arbeit anders gesehen haben, wenn man ihre Resonanzen auf Kissen und auf anderen Leinwänden erkannt haben wird. Man wird andere Malerei auf den Pixeln gesehen haben und nach Pixeln in der Malerei fragen.

Eine Arbeit aus acht Ölkreidebildern wird dem sich ste- tig hochregelndem Puls der Pixelwand mehrere (Schall) Wellen entgegensetzen und so deren Takt stören. Ihr Ablauf ist sequentiell und narrativ und tritt so als Raum mit anderen Richtungsparametern aus den Pixeln heraus. Disharmonie en bloque.

An der Kasse bin ich noch nicht vorbei. Im Geiste probiere ich dekonstruierte Hemden und Hosen an, und sie passen zu dem Körperbild, das sich seit der Eröffnung der Ausstellung hergestellt hat und alles andere als nahtlos ist. Die Kleidung passt zu einem Körper, der sich weigert, ins Bild zu passen, und zu Bildformen, die sich weigern, den Körper in seiner Materialität außen vor zu lassen. Nur so sind sie tragbar. Weiter. Zwischen Pixelwand und den Papier- und Folienbahnen, die den Gang teilen, geht es nun entlang nach hin- ten. Die Bahnen können nur dann ihre Wirkung entfalten, wenn ich diesseits – und jenseits eine Andere läuft; dann und nur dann sind sie der Riss, der ein Feld eröffnet, in dem ich Differenz erfahren und teilen kann; gehe ich allein daran vorbei, passiert nichts, dann bleiben die Bahnen stumpf und ich mit ihnen und meinen Projektionen alleine. Am Ende der Bahnen verläuft Silber auf dem Boden, und weil es so verläuft wie es verläuft, merke ich, dass die Ausstellung bergab fließt, dass Zeitlichkeit räumlich verläuft. Quecksilber hieß früher lebendiges Silber. Die ersten Kügelchen rollen mit.

Ich befinde mich nun im Bauch der Ausstellung. Ein Pavillon, von dem man sich sofort fragt, ob er überskaliert ist, ohne dass man ahnte, in Relation zu was, steht auf prekären Füßen im Raum und weigert sich zum Ort zu werden. Der Pavillon ist fehl am Platze und fragt sich selbst, was eigentlich das Verhältnis von Innen- und

Außenraum ist. Er materialisiert mit seiner Fehlplatzierung und seiner entrückten Maßstäblichkeit genau die Schwelle zwischen innen und außen. Er ist eine Bühne ohne Abgang.

Daneben steht eine Kleiderstange mit drei Requisiten oder Exhibiten, die zwischen Kleid und Bild changieren. Kleider/Bilder, die weder Kleider noch Bilder, sondern den Schrägstrich dazwischen darstellen. Schnitt- stellen. Möglichkeitsorte geteilter Differenz. Sie entgrenzen meine Wahrnehmung und ihre möglichen Zuordnungen, weil ich sie in ihrem Flimmern nur er- kennen kann, wenn ich aus der Grenze heraus schaue und das Schweben als Ort begreife, von dem aus die Lücken sichtbar werden, die die Entweder/Oder-Körperlichkeiten ausgeschlossen sehen möchten.

In seinem Flimmern kommt hier also sowohl der normierte als auch der verrückte Körper in seiner Bildlichkeit zur Aufführung. Haben wir einen Körper, oder sind wir einer? Wenn wir einer sind, dann wird die Frage nach Körper und Bild existentiell. Die Kleider sind der Körper sind die Bilder. Die Kleider/Bilder eröffnen das Sowohl/Als-auch.

Neben dem Pavillon und den Kleider/Bildern ist eine Poledance-Installation platziert. Durch die imaginären Fliehkräfte, die sich um die Metallstange herum drehen, bildet sie einen ersten Mittelpunkt, der aber verlassen ist. Bis die Performerin kommt und an der Stange architektonisch wirkende Körperstatik aufführt, ist man sich nicht so sicher, ob es nicht um die Abwesenheit des Körpers in diesem Bild geht. Als sie auftritt, ist klar, dieser Körper war nicht im Bild. Unter der Stange liegt ein Kissen – für den Fall. Es sind unsere Körperbilder, die hier aufgeführt und potentiell zu Fall gebracht wer- den. Unsere Körperbilder und unsere Möglichkeit, sie performativ zu gestalten. Der Körper ist kein Ganzes, sondern gleichzeitig weich und fest, beweglich und statisch. Die Raumzeichnungen der körperlichen Posen werden so zu Artikulationen des Verhältnisses von Körperraum und Raumkörper.

Andere Kissen an anderen Stangen liegen auf dem Bo- den. Sie werden im Laufe der Ausstellung zufällig immer wieder neu arrangiert und aktivieren sich erst mit dem Auftreten der Betrachter. Sie sind bemalt oder beschrieben. Je nachdem, an welchem anderen Werk sie gerade liegen, lehnen oder vorbeigetragen werden, werden ihre Bedeutungen gelöscht und neu aufgeladen. Es sind die Wunderblocks von TAU. Die Besucher stellen sich mit ihnen aus. Alle möglichen Bildträger.

An der Wand gegenüber der Pixelarbeit sind drei Arbeiten zu sehen. In der ersten sind Teile der Malerei herausgefräst, wodurch sowohl die Malerei als auch der Schnitt ein vielfaches Echo auslöst: zu den anderen Schnittstellen der Ausstellung. Daneben ist ein langer ausgedruckter Streifen Malerei von der Wand gerutscht und wellt sich zwischen Wand und Boden. Der Streifen ist ein Dummy, ein Provisorium. Er zeigt, dass sich die Virtualität der Malerei so oder anders aktualisieren kann, und dass ihr Potential genau in diesem Prozess der Aktualisierung liegt.

Die Struktur der versprengten Tonscherben erinnert an Haut. Auf die Scherben wird ein Film mittels einer Maske passgenau projiziert. Der Film ist durch die Hand gefilmt und verunklärt die Grenzen des Materials. Der Körper ist auch hier ins Bild gesetzt, um sich ihm zu widersetzen und nicht in die Falle zu tappen, sich selbst als nahtloses Bild zu erfahren. Die Tonscherben sind durch ihre Hauthaftigkeit gleichzeitig Hand, die durch einen Wurf die vermeintliche, ursprüngliche Einheit zerbrochen hat, und: von Hand gefertigten Objekte. Materielles Sehen an die Wand geworfen.

Die gelb-roten Schnüre des Weidezauns setzen den hinteren Teil des Raums mit seiner gespannten Grenze unter Strom. Im Moment der Berührung springt ein Funke über, und der Strom erdet meinen Körper. Das Spannungsfeld leitet den Besucherstrom ab oder um und setzt sich ihm entgegen. Der Blick kommt hier durch, der Körper nicht, oder nur, indem er seine Un- versehrtheit aufs Spiel setzt. Hier reiben sich Blick und Körper so stark, dass man die Energie, die bei dieser Reibung entsteht, leise sirren hören kann. Der Raum heizt sich auf und verkörpert sich zum Ort. Beispielsweise für zwei auf Holzrahmen aufgespannte transparente Folien, die an dem durchlässigen Zaun leh- nen und den Blick blockieren. Die Folien liegen so aufeinander, sind so gegeneinander gemalt, dass sie sich der Durchsicht verweigern, und so nur in Fragmenten erkennbar sind. Gleichzeitig schaue ich durch den Zaun auf die Pixelwand, die das Bezugssystem geschaffen hat, in dem sich alle Arbeiten gegenseitig durchspielen können. Plötzlich stehen zwei Performer neben mir. Sie lassen mich in den Raum ihres intimen Dialogs ein, der doch für mich geschlossen ist. Sie formulieren durch die Offenheit ihres Gesprächs meine Grenze. Dass ich trotzdem lachen muss…

Oh my.

Das Kissen, das am Ende des Ausstellungsraumes liegt und der Identität, die sich bis hierher gerettet hat, ihre letzte Ruhe schenkt, ist ein Witz.
Zwischendurch wird an diesem Ort eine Performerin Echos ihrer eigenen Stimme produzieren und sich da- bei in ein und demselben Kleid verkleiden.

Der Rückweg wird zum Hinweg, als ich erkenne, dass die Grenze zwischen Wand und Boden zerrieben ist. Es sind Eierschalen, die den Grenzstaub bilden. Die zerriebenen Eierschalen sind ein ephemerer Superlativ. Sie stellen eine Bildlichkeit her, die auf der Schwelle zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit balanciert. Zwischen den Zäunen hängt eine große Malerei auf Leinwand so, dass ich angestrahlt bin, während ich sie betrachte, und an eine weitere Installation stoße, wenn ich die passende Entfernung dazu suche. Die Malerei genießt ihre eigene Subjektivität und ist gleichzeitig intentional auf die Betrachter ausgerichtet. Der Blick schält eine rudimentäre Gestalt aus Farbflächen heraus, die scheinbar frei auf der Leinwand fluktuieren.

In der Installation sträuben sich Papiere von einer Holzstange und bremsen oder treiben den Besucherstrom, je nachdem in welche Richtung er fließt. Aber die Installation steht mit ihrer Platzierung an diesem Ort auch noch für etwas anderes: Hier schießt TAU über. Diese Installation ist das überschüssige Objekt, das Objekt, dass es braucht, um nicht maßzuhalten, nicht hauszuhalten, sondern die Möglichkeiten des Raums zu verschwenden. Die Performer tauschen jetzt Kochrezepte aus.

Einmal diagonal durch den Raum hängt Farbfeldmalerei an der Wand und nutzt die Architektur statt sie um- zuleiten, über sich hinaus zu treiben oder durch Farbigkeit ihre Sinnhaftigkeit zu entziehen. Die überlagerten und systemisch durchdeklinierten Vermalungen zwischen Wand und Tür spielen unterschiedliche Gradiationen von (Bild)Realität durch. Sie sind damit eine weitere Klammer neben der Pixelwand, die sie irritieren müssen, und gleichzeitig eine Entklammerung, die mich entlässt, wenn auch durch eine andere Tür.

Ich gehe. Wenn ich anders gegangen wäre, hätten sich neue und andere Möglichkeiten eröffnet. Ich kann immer wieder neu und anders gehen. TAU eröffnet sich mit jedem Gang und jedem Resonanzraum. Ich werde es nicht erfassen können. Es wird mich nicht verallgemeinern können.

TAU ist Gift für die Identität, Quecksilber: „Wegen seiner hohen Oberflächenspannung benetzt das flüssige Schwermetall seine Unterlage nicht, sondern bildet ob seiner starken Kohäsion linsenförmige Tropfen.“ Quecksilber ist das einzige Schwermetall, das in flüssiger und versprengter Form vorkommt. Seine Identität ist also wandelbar, ohne zusammenhangslos zu werden. So wird das Gift von TAU zur Gabe für die Identität. Sie wird fluide, fragmentarisch und elementar. Von hier aus…!

Ich bin das Häufigste


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